AKABIXE
 

Um es vorweg zu nehmen: der Name Akabixe ist natürlich ein Phantasieprodukt Reinhard Bienerts. Trotzdem meint man ihn schon irgendwann einmal gehört zu haben. Vertraut und zugleich verstörend neuartig muten auch die Bildkonfigurationen des eindrucksvollen Zyklus an. 

 

Wuchtige, in sich geschlossene Ovale stehen vor meist ockerfarbenem Grund. Lässt man sich auf die merkwürdigen schwarzen Gebilde ein, wird man gewahr, dass sich hier gleichförmige Kompartimente geradezu organisch akkumulieren. Kleinere scheinen aus größeren hervorgegangen. Assoziationen an natürliche Wachstumsprozesse, beispielsweise an eine Zellteilung, stellen sich ein. Das Ganze mag dem Bauplan von Kakteen oder Korallen ähneln, wo kleinere „Ableger“ auf einem älteren, größeren Hauptkörper aufsitzen. Interpretationen, die zwischen abstrakten und gegenständlichen Deutungen schwanken, entsprechen durchaus der offenen Sichtweise Bienerts, in dessen informellen Gemälden verblüffender Weise immer wieder Figürliches aufscheint. Er, dessen Malerei generell von der Spannung zwischen spontanem Farbgestus und wohlproportionierter Bildarchitektonik lebt, hat auch hier eine schlüssige Formulierung gefunden, um zwischen Gegensätzen ästhetisch zu vermitteln.   

 

Und doch unterscheidet sich der Gemäldezyklus Akabixe auf den ersten Blick von den bisherigen Bildern Bienerts. Ein gleichsam skulpturales Verständnis zeichnet ihn aus. Das liegt zum einen an der Fähigkeit des Malers, mittels dynamisch angeordneter Flächenformen ein Höchstmaß an dreidimensionaler Wirkung zu erzielen. Alles ist im besten Sinn bildhauerisch empfunden, erinnert entfernt an die geometrisierenden Stilisierungen, die ein Archipenko oder Brancusi mit dem menschlichen Körper vornahm. So kann man mit einiger Phantasie Karyatiden, Schreitende und Tänzerinnen in den einen, lagernde Frauengestalten oder eine Mutter mit Kind im Schoß in den anderen Akabixe-Bildern sehen. Ebenso legitim ist es, Kaffeebohnen, Semmeln, rote Blutkörperchen oder Pantoffeltierchen zu erkennen, die sich da über- und hintereinander schieben. Auf jeden Fall fordert die spielerische Vielfalt, mit der das immergleiche Motiv behandelt ist, zum vergleichenden Sehen und damit Verstehen heraus.       

 

Dass hier mit minimalen grafischen Mitteln – oft nur mit wenigen geschwungenen Linien – eine plastische Form evoziert wird, erinnert an die große Tradition des Holzschnitts, jenes expressiven Mediums par excellence. So zeichnet sich mit sparsamen Linien ein „Äquator“ der räumlich zu denkenden Objekte ab oder es werden Volumina schaffende Überschneidungen angedeutet. Aber es sind eben keine Holzschnitte, bei denen die natürliche Maserung sich dem Willen des Künstlers oft widersetzt. Auf der Leinwand ist der Pinsel des Malers völlig frei. Alles ist hier rund gedacht und so scheut sich Bienert auch nicht, die Scheiben auf einigen Bildern durch Höhungen oder Körperschatten zu prallen Ballons auszumodellieren. Oft kann man die kreisend-gestischen Schwünge noch erahnen,  mit denen der Künstler seine Kompositionen auf die noch weiße Leinwand gesetzt hat. 

 

Bei aller kompositorischer Entschiedenheit wirkt diese Malerei erfrischend roh und ungestüm. Mal ist die Farbe lasierend dünn aufgetragen, mal wird sie durch das Verfahren der Dekalkomanie materiell und körperhaft wie die elliptischen Gebilde selbst. Raffiniert ist das Gelb in diesen Bildern eingesetzt. Beim Nähertreten realisiert man zwar, dass es sich um ein opak auf der Leinwand stehendes Pigment handelt. Insgesamt schimmert dieses zum Teil mit Erde vermischte Ocker- bzw. Dottergelb aufgrund seiner lebendigen Oberfläche jedoch wie ein Goldgrund. So glaubt man bisweilen, in den abschattierten Bereichen des Hintergrundes Oxidationen, in den hell strahlenden Partien hingegen Reflexionen des Edelmetalls zu erblicken. Oder sind es die Farben der Sonne und der Savanne mit ihrem prägnanten Kontrast von gleißendem Licht und harten Schatten, die in Akabixe wiederkehren?   

 

Auf alle Fälle ist die sich mit dem Goldton verbindende sakrale Konnotation nicht zufällig, denn im Zyklus Akabixe verdichten sich Momente, die Reinhard Bienert aka EZIMO einem prägenden Afrikaerlebnis verdankt. Während eines mehrwöchigen Aufenthaltes beim Stamm der Igbo in Nigeria gelang es dem Künstler tief einzutauchen in eine fremde Welt, in der die Grenzen zwischen Glauben, Wissen und Kunst noch fließend sind. Wie er stets betont, sind in jener matriarchalischen Gesellschaft nur die Frauen künstlerisch tätig. Sie sind für den Schmuck der runden Lehmbauten zuständig, die alle zwei bis drei Jahre renoviert werden müssen. Dann bemalen die Igbo-Frauen die Außenwände ihrer Häuser mit Ornamenten, deren weite Bedeutungsebene den Zusammenhang von Mensch, Natur und Kosmos umschließt. Bienert, der sich von den Embryonalformen der Igbo inspirieren ließ, sieht in Akabixe die „Philosophie des Samenkorns“ verwirklicht. Es geht ihm demnach nicht um reine „l'art pour l'art“. Eine ganzheitliche spirituelle Dimension bildet vielmehr den Ausgangspunkt seiner faszinierenden Formexperimente.       

 

Es ist vielleicht noch verfrüht, angesichts des Zyklus Akabixe von einem Spät- oder gar Alterswerk Bienerts sprechen zu wollen. Zumindest aber strahlen seine ausgereiften Kompositionen ein gehöriges Maß an innerer Ruhe und Gelassenheit, ja stiller Weisheit aus. Mittels einer sehr eigenen, in sich schlüssigen Bildsprache reflektiert der Nürnberger Maler über die primitivistischen Wurzeln einer Moderne, die wesentliche Impulse seit mehr als einem Jahrhundert aus der Begegnung mit anderen Kulturen bezieht. Ist schon jedes dieser Gemälde in sich ein Kraftpaket, entfaltet der Zyklus in der Gesamtschau eine umso stärkere Wirkung. Dann wird das ganze Maß an kombinatorischer Freiheit ersichtlich, das Bienert innerhalb eines einzigen variierten Motivs zu entfalten vermag. Ein virtuoser Erzähler, dessen Reduktionen viel vom wissenden Schweigen eines alten Medizinmannes besitzen.        

 

Harald Tesan