Reinhard Bienert

Philosphie

In der Brust von Reinhard Bienert atmen zwei Seelen. Die eine ist berauscht vom wilden Duktus, lässt rohe Formen über die Leinwand tanzen, schafft wie im Zustand der Trance (in der Tat malt Bienert oft mit geschlossenen Augen, liebt es, sich beim Malvorgang treiben zu lassen). Auf der anderen Seite herrscht der bändigende Gestaltungswille, offenbart sich in wohlausponderierten Kompositionen ein sehr rationales Element. 

 

Um sein sehr persönliches Pendeln zwischen konstruktiven und gestischen Positionen begreifen zu können, muss man tiefer in die existenziellen Erfahrungen des Künstlers während eines Afrikaaufenthaltes eintauchen. Im Jahr 1998 lebte er eine Zeit lang beim nigerianischen Volk der Igbo. Bienert hat zusammen mit den Igbo-Künstlerinnen Farben angerieben und gemalt. Vor allem aber schloss er Freundschaft mit dem Dorfmedizinmann, der ihm - als Beweis höchster Wertschätzung - schließlich seinen eigenen Namen EZIMO schenkte. Der Künstler-Priester nahm Bienert mit zum “geheimen Treffen der Masken” und führte ihn in diverse Rituale ein.  

 

Mitgebracht aus Afrika hat der Künstler zwei große Leinentücher, die er mit den vor Ort zu findenden Farben bemalt hatte. Bienert hütet beide Gemälde als kostbares Gut, denn sie enthalten in nuce das Wesen seiner Kunst. Verwendet ist auf dem einen eine erstaunlich reiche Palette von Erdpigmenten sowie ein leuchtendes Blau, das die Afrikaner brauchen, um ihre Wäsche weißer zu machen. Auf der anderen Leinwand finden sich die traditionellen Rankenmotive, mit denen die Igbo-Frauen ihre Hauswände verzieren. Diese Hausbemalung symbolisiert den Zusammenhalt des Volkes, webt mit einem Ornament aus geometrischen wie floralen Motiven ein imaginatives Beziehungsnetz zwischen den einzelnen Familien, ihren Ahnengeistern und der Natur.  

 

Reinhard Bienert ist von kolonialen Schwärmereien weit entfernt, die eine romantisierende Moderne vielleicht immer noch mit der Kunst des “schwarzen” Kontinents verbinden mag. In Afrika erlebte der Künstler die Grenze zwischen Leben und Tod als sehr schmal. Er empfand das Glück, die Ausgelassenheit und den ungeheuren Lebensdrang im ehemaligen Biafragebiet, sah zugleich aber auch die Armut von Menschen, die nicht wissen, ob sie den nächsten Tag überleben. Sicherlich liegt darin der Grund, weshalb Bienert seither sein Schaffen der spannungsgeladenen Polarität von Leben und Tod verschrieben hat. Er ist in Bereiche eingedrungen, die aufgeklärte Zeitgenossen oft allzu vorschnell als schamanistischen Hokuspokus abtun. 

 

Von jenem “Spirit of Africa” durchdrungen ist ein ganz in den Farben Rot, Weiß und Schwarz gehaltener Zyklus Bienerts, der dann in Deutschland entstand. Auf einigen dieser zum Teil zu Poliptychen kombinierten Tafeln nimmt die Farbe Schwarz eine dominante Rolle ein. Das Schwarz verleiht den Bildern nicht nur eine formale Tiefe. Bienert braucht das Schwarz als Kontrastmittel, um auch inhaltliche Polaritäten zur Geltung kommen zu lassen; dies aber immer in der Intention ambivalente Verbindungen herzustellen. Solche Zwiegespräche stellen sich etwa zwischen dem intensiven Rot und dem Weiß ein. Rot als die Farbe des Blutes, des Lebens, steht da in vielschichtiger Beziehung zum Weiß, das Bienert als Farbe des Lichtes, der Transzendenz auffasst. Diesseits und Jenseits befinden sich - wie in der Mythologie der Afrikaner - in einem kontinuierlichen Verhandlungsprozess. In dem stehen sich Kategorien wie Gut und Böse nicht als unüberwindliche Gegensätze gegenüber.   

  

Als formale Entsprechung zum ganzheitlichen Denken Bienerts tritt das Prinzip der Montage in Erscheinung. In freier Kombination sind es Kreisformen, Segmente oder Kuben, aus denen seine Bildsprache erwächst. Bisweilen finden sich plastische Strukturen wie geknitterter Stoff oder geknülltes Papier in die Ölfarbe eingearbeitet. Immer hat man den Eindruck, dass es sich um Überlagerungen, um Prozesshaftes und damit nicht Abschließbares handelt. All das dient einer künstlerischen Aussage, die unter die Oberfläche bloßer Sichtbarkeit dringen will.   

 

War das „Stirb und werde“ aus Goethes westöstlichem Diwan Anregung für einen Bildzyklus Bienerts, ist die Kultur Europas oder Amerikas und die Tradition Afrikas in seinen Bildern zur stimmigen Versöhnung angetreten. Hier die von einer “westlichen” Tradition herrührende, bedingungslose Entfaltung des Individuums; Dort das auf einer kollektiven Überlieferung basierende Kunstschaffen der Afrikaner. Oder, mit anderen Worten: das in der Malerei des Informel gipfelnde freie Gestalten einerseits und andererseits der auf strengen geometrischen Strukturen insistierende Formenschatz der so genannten Stammeskunst.

 

EZIMO alias Reinhard G. Bienert kann man getrost als Weltenkünstler bezeichnen. Wenn sich in seinen Bildern zwei Traditionen spielerisch überlagern, so spricht für die Philosophie des Künstlers, die alles im Fluss begreift, dass er den 

Betrachter dazu auffordert, einen ständigen Perspektivewechsel vorzunehmen. In seiner primitivistischen Suche nach dem Urgrund des Lebens gehen Erfahrungen der modernen Zivilisation und der traditionellen afrikanischen Kultur eine lebendige Symbiose ein. Irritationen werden dabei bewusst in Kauf genommen. Hauptsache, es entsteht ein strömender Zwischenraum, der Platz lässt für den symbiotischen Dialog der Kulturen.  

 

                                                                            Harald Tesan